November 2014 //2

November 2014 / 2


Liebe Scholé-Freunde,

Zwei meiner schönsten Erinnerungen von der HAWAIIREISE möchte ich noch mit euch teilen: Beide sind besondere Erlebnisse mit Kindern, die mir, jedes auf seine Art, Weg weisend für Scholé erscheinen:

Der kleine Bub und der Ast: An einem sonnigen Nachmittag setze ich mich mit meiner Freundin Sabine am Strand unter einen Laubbaum. Ein paar Kinder, die in der Nähe spielen, reißen einen tief hängenden Zweig von dem Baum ab, fuchteln ein bisschen damit herum und lassen ihn dann achtlos liegen.

Etwa zwei Stunden später kommt ein ganz kleiner amerikanischer Bub vorbei, höchstens 4 Jahre alt. Ich sehe, wie er vor dem inzwischen schon recht welken Zweig im Laufen innehält und ihn mit bestürzter Miene vom Boden aufhebt. Ganz sachte drückt er den Zweig, der länger ist als er selbst, an seine Wange und flüstert ihm Trostworte zu…! Als er danach, den Zweig schwingend, auf seine Eltern zu läuft und dabei laut ruft: „Mummy, Daddy, schaut her! Den Zweig da hat jemand abgerissen!“ liegt keine Trauer mehr in seiner Stimme. Sein wahres Wesen hat der kleine Mensch offenbart, als er sich unbeobachtet glaubte… Ich fühle mich so beschenkt, Zeuge dieses heiligen Augenblicks gewesen zu sein!

Ein ungleiches Paar Das zweite für mich bedeutsame Erlebnis hatte ich in einem Tanzstudio in einer nahen Ortschaft. Der Raum sieht aus wie eine große offene Werkzeughalle, hat einen schönen glatten Holzboden, eine verspiegelte Rückwand, in den Ecken ein paar Polster für Yoga Übende und für Ballettübungen eine Art Sprossenwand an der Vorderseite. Jeden Donnerstag von 19 bis 20.30 Uhr öffnet das Tanzstudio seine Pforten für alle, die Lust haben, eineinhalb Stunden lang miteinander oder nebeneinander zu tanzen. Auch Fremde wie wir werden herzlich willkommen geheißen, für den Eintritt zahlt man 10 Dollar und seine Wasserflasche bringt sich jeder selbst mit.

Unter den etwa 30 Personen, die sich zu südamerikanischer Musik auf ganz unterschiedliche Weise durch den Raum bewegen, sind an dem Abend auch mehrere Kinder. Ein etwa dreijähriges Mädchen in einem kurzen, wegstehenden Röckchen fällt mir besonders auf, weil es seine Schritte so ernsthaft und konzentriert setzt. Auf einmal sehe ich, wie ein hochgewachsener, schlanker alter Herr, die weißen Haare zu einem Schwänzchen im Nacken zusammengebunden, mit den geschmeidigen Bewegungen eines geübten Tänzers die Tanzfläche betritt. Er nähert sich dem kleinen Mädchen und beginnt schweigend, alle ihre Bewegungen nachzuahmen: Genau wie sie hebt oder senkt er die Arme, dreht sich einmal rechts, einmal links herum, durchquert hinter ihr mit schnellen kleinen Schritten den Raum – immer in einem Respektabstand von mindestens ein bis zwei Metern, außer sie streckt ihm ihre Händchen entgegen. Dann hebt er sie ganz behutsam in die Höhe, setzt sie aber gleich wieder ab, sobald sie mit den Füßen zu zappeln beginnt.

Das kleine Mädchen genießt diese wortlose Aufmerksamkeit – es fühlt sich als kleine Königin, die ihrem Tanzpartner manchmal huldvoll gestattet, sie hoch zu heben! Zwischendurch stellt sie ihn einmal auf die Probe, indem sie an der Sprossenwand ihr Bein erst senkrecht in die Höhe streckt, dann aus dem Liegen eine Brücke macht usw. Aus dem Augenwinkel beobachtet sie befriedigt, dass der alte Herr die Probe besteht, obwohl die Verrenkungen seinen alten Knochen deutlich schwerer fallen…Und dann, nach etwa 40 Minuten konzentrierter Bewegung, hat die Kleine auf einmal genug und ruht sich in den Armen ihrer Mutter aus, die bisher ganz für sich getanzt hat und dem ungleichen Paar keine Beachtung schenkte.

Zwischen dem alten Herrn und dem kleinen Mädchen herrschte ein schweigendes Einverständnis, das etwas Erhabenes an sich hatte und auf spielerisch-lustvolle Weise beide zu Höchstleistungen beflügelte!

SO FINDET WAHRES LERNEN STATT: Die Kleinen sind es, die Tempo und Richtung vorgeben, und die Großen lassen sich aufmerksam und behutsam auf ihre Bedürfnisse ein – dann ist das Ergebnis eine unvorhersehbare, nicht planbare Bereicherung für alle, sogar für die Zuschauer…!