Oktober 2015

Oktober 2015


Liebe Scholé-Freunde,

Ich möchte diesen Brief mit einer kleinen Geschichte beginnen, die sich noch in der Sonnenuhrgasse abgespielt hat, wo der Colearning Space die Zeit bis zum Freiwerden der Hutfabrik überbrückt hat. Auf ganz einfache Weise zeigt sie den Unterschied zwischen MACHEN und GESCHEHEN LASSEN:

Im unteren Raum spielten an einem Vormittag 9 Kinder zwischen 5 und 10 Jahren – zwei kleine Mädchen zeichneten eifrig, die anderen beschäftigten sich mit Kapla-Steinen oder zogen einander auf Fleckerlteppichen herum. Etwas abseits baute ein traurig dreinsehender Bub mit dem Rücken zu den anderen eine immer höher wachsende Festungsmauer in eine Zimmerecke – dem armen Außenseiter geht es gar nicht gut, dachte ich mir… Gegen 10.30 beschlossen die anderen Kinder, in den Park zu gehen, er wollte als einziger nicht mit. Die Lernbegleiterin überließ den Kindern die Entscheidung, in welchen der 3 zur Auswahl stehenden Parks sie gehen wollten. Nach einem längeren Palaver konnten sich alle auf einen Park einigen – bis auf einen besonders lebhaften Knaben, der unbedingt in einen anderen Park gehen wollte und nun lieber schmollend da blieb, als auf seinen Wunsch zu verzichten. Ein fröhlicher Haufen machte sich mit der jungen Lernbegleiterin auf den Weg, ich blieb mit einem Traurigen und einem Schmollenden allein zurück.

Das kann ja heiter werden!, dachte ich mir, sagte aber kein Wort, sondern blätterte scheinbar geistesabwesend in einem Bilderbuch und wartete ab, was geschehen würde. Es dauerte nicht lange, bis dem Wildfang das Schmollen zu langweilig wurde. Er sprang von seinem Sessel auf und begann um den traurigen Jungen, der weiter an seiner Festungsmauer baute, herumzuhüpfen. Der sah zunächst gar nicht auf und beantwortete die Fragen des Wildfangs ausgesprochen schroff und abweisend. Der Wildfang ließ sich davon aber nicht entmutigen. Ohne Murren steckte er die unfreundlichen Kommentare des anderen Jungen ein, bis der erstaunt zu ihm aufsah und allmählich aufzutauen begann. Eine halbe Stunde später saßen die beiden einträchtig nebeneinander, vertieft in ein Brettspiel, das sie sich aus dem Kasten geholt hatten…!

Wie großartig hat die himmlische Regie die Dinge doch gefügt, dachte ich: Offenbar musste der Wildfang zurückbleiben, weil er als einziger in der Lage war, den traurigen Neuankömmling in so kurzer Zeit aus der Reserve zu locken und von seiner Traurigkeit zu heilen! Und er selbst hat dabei sein Selbstbewusstsein gestärkt und einen neuen Freund gewonnen, der inzwischen schon bei ihm übernachten darf! Im effizient durchorganisierten Alltag einer Schule ist für solche Wunder meist kein Raum…sie können nicht GEMACHT, nur ZUGELASSEN werden!

Das ZULASSEN ist jetzt gerade auch Thema Nr. 1 in der Hutfabrik, wohin der CLS mit Sack und Pack am Montag übersiedelt ist. Im WOZU-Raum versammeln sich am Morgen alle Kinder, die noch nicht wissen, wozu sie heute hergekommen sind: Die Kleinen, die den ganzen Tag hier weiter spielen möchten und gar nichts anderes brauchen. Und die ehemaligen Schulkinder, die gewohnt waren, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen, und die von der Frage „WAS WILLST DU TUN?“ noch restlos überfordert sind. Nicht weniger anstrengend als für sie ist diese Phase für die Erwachsenen, die auch erst lernen müssen, auf Ermunterungen, gute Ratschläge, bewährte Erziehungstipps und Tricks zu verzichten, um den Selbstfindungsprozess der Kinder nicht zu stören… Und das heißt zunächst einmal, Langeweile und Frustration ZULASSEN können, eine Herausforderung für uns Anfänger!

Entschädigt werden wir dafür mit der Freude über die Kinder, die schon in ihre Kraft hineinwachsen: Die Jugendlichen, die für 25 Menschen einkaufen und kochen, wie die Oberkellner servieren und nach dem Essen jedem einzelnen genau erklären, wie die Spülmaschine einzuräumen ist. Die Fünfjährige, die am Sonntag stundenlang beim Putzen mitgeholfen hat. Die Neunjährige, die eifrig Obst und Gemüse für die Jause schneidet und dabei zu ihrem gleichaltrigen Kollegen sagt: „Komisch, zu Hause will ich nie mithelfen, aber hier macht das so viel Spass!“

Die erfahrenen Freilerner-Eltern haben andere Sorgen: Sie kämpfen für das Recht, ihre Kinder weiterhin selbstbestimmt aufwachsen zu lassen. Obwohl das Jugendamt bestätigte, dass es ihren Kindern an nichts fehlt, haben zwei Familien eine Anzeige erhalten: Die Schulbehörden hatten einen Antrag auf Entzug bzw. Einschränkung des Sorgerechts gestellt, obwohl dies gar nicht in ihrer Kompetenz liegt, sondern in die des Jugendamtes fällt… Wie gut, dass ein Vater selbst Jurist ist! Und wie gut, dass der Neunjährige, der als erster ohne seine Eltern vor der Richterin erscheinen musste, darauf bestand, Freunde mitzubringen und auf die Frage, was er sich wünsche, ganz klar antworten konnte: „Dass alles so bleibt, wie es jetzt ist!“

Es gäbe noch manches zu berichten: Etwa über das Bildungsfestival stEFFIES, bei dem Sibylle und ich einen Workshop über die Hintergründe der Schaubildarbeit gehalten haben. Wir sind dort wunderbaren, großteils ganz jungen Menschen begegnet, die sich mit Feuereifer für eine nie da gewesenen Veränderung der gesamten Bildungslandschaft einsetzen. Oder über die Seminare mit Irina Lang in der Sonnenuhrgasse, bei denen wir wieder erleben konnten, dass es genügt, einem Kind ZUZUTRAUEN, dass es mit geschlossenen Augen wahrnehmen kann, damit ihm das innerhalb von 10 Minuten gelingt… Herzerwärmend war für uns und die Teilnehmer Irinas neues Seminar über die SPRACHE DER SEELE, das sie bei ihrem nächsten Besuch im Jänner fortsetzen wird. Außerdem haben wir sie um ein weiteres Seminar für Eltern und Pädagogen gebeten: WAS BRAUCHEN DIE KINDER DER NEUEN ZEIT? Genauere Informationen versenden wir demnächst.

Für heute nur noch 2 wichtige Erinnerungen: an den 3-tägigen Workshop LERNEN AUS DER ZUKUNFT mit dem Quantenphysiker Schatanov und an das FEST FÜR ARNO STERN am 6.11.2015:

Zukunftsfrohe Grüße! Alexandra, Sibylle und Melanie